Papieri People

Roger Boltshauser
und Andreas Friederich

Städtebauliche Figur des Papieri-Areals im Modell

Vom Papier zum Quartier

Mehr als 360 Jahre prägte die Papieri den Ort Cham und die Region Ennetsee. Die Umwandlung der ehemaligen Papierfabrik in ein lebendiges Quartier ist eine Herausforderung. Wo soll Bestehendes erhalten und wie kann Neues optimal ergänzt und integriert werden? Wie kann die ursprüngliche Identität bewahrt und gleichzeitig eine neue erschaffen werden? Und wie wird die Geschichte weitergesponnen und der Bevölkerung gleichzeitig etwas zurückgegeben? Diesen Fragen haben sich neben einer Vielzahl von Mitbeteiligten dieses Transformationsprozesses auch Roger Boltshauser, Inhaber des

gleichnamigen Architektur­büros und Gastdozent an der ETH Zürich, sowie Andreas Friederich gestellt. ​​​​​​​Die beiden begleiten die Arealentwicklung Papieri in unterschiedlichen Rollen seit Beginn dieses Prozesses. So kümmerte sich Friederich bereits 2013 als Berater, dann als Leiter Immobilien der Cham Paper Group und schliesslich als CEO der Cham Group um die Transformation des Areals. Boltshauser und Friederich kennen die Herausforderungen des Brückenschlagens zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Mensch und Natur, zwischen Wohnen und Arbeiten.

 

Die Ausgangslage für diese Arealentwicklung war gleichermassen herausfordernd wie auch einzigartig: Nach der Verlagerung der Papierproduktion nach Italien wollte die Grundeigentümerin das ehemalige Gelände der Papierfabrik umzonen, um das einst geschlossene Industrie-Areal für neue Nutzungen zu öffnen. Die Lage direkt an der Lorze und nahe am Zentrum der Gemeinde Cham sowie die angrenzenden Naherholungszonen machen das Areal zu einer prädestinierten Wohnlage. Gleichzeitig wird aber auch ein Viertel der künftigen Fläche auf dem Areal zur Arbeitsnutzung dienen. Die rund 1000 Arbeitsplätze, die hier einst entstehen werden, sorgen für eine belebende Nutzungsdurchmischung im neuen Quartier. «Die Erarbeitung der Grundlagen für die Entwicklung eines Projekts dieser Dimension und Komplexität erfordert einen angemessenen Planungsprozess», meint Andreas Friederich, Architekt und Arealentwickler.

 

Dieser wurde mit einem moderierten und extern geführten, kooperativen Planungsverfahren mit Beteiligung der Gemeinde, der Grundeigentümerin und der Bevölkerung von Cham gefunden. Gut vier Jahre dauerte dieser Prozess. Es wurden wegweisende Leitsätze formuliert und eine mehrphasige Testplanung mit namhaften internationalen und nationalen Städtebauern veranstaltet. Am Schluss dieses Verfahrens überzeugte das Richtprojekt von Albi Nussbaumer Architekten aus Zug und Boltshauser Architekten aus Zürich das breit abgestützte Beurteilungsgremium. Es lieferte die Basis für die Erarbeitung eines Bebauungsplans. Bei jedem Schritt konnte die Bevölkerung mitreden, und sie legte am Schluss ein Ja in die Urne zur Umzonung und zum Bebauungsplan des Papieri-Areals.

Andreas Friederich


«Das öffentliche Mitwirkungs­ver­fahren als Teil dieses Planungs­prozesses war wegweisend für die Akzeptanz des Vorhabens bei der Mehrheit der Chamer Bevölkerung.»

Andreas Friederich


Doch was genau macht diese städtebauliche Richtplanung des Papieri-Areals zu etwas Besonderem? Da sind einerseits die linearen Strukturen der bestehenden Papier­maschinenhallen, welche direkt an der Lorze liegen und dieser folgen. Diese denkmalgeschützten Bauten wurden als prägende Figuren des Richtprojekts aufgenommen und verstärkt, indem man sie mit einem gegenüberliegenden Neubau ergänzte, um dazwischen attraktive Gassen und Hofräume zu bilden. Die Spiegelung dieser parallelen Gebäudeanordnungen auf der östlichen Areal-Seite entlang der Knonauerstrasse wird daraus abgeleitet.

Durch diese Randbebauungen entsteht im Inneren des Areals ein Zwischenraum, welcher mit der neuen Setzung von fünf Hochhäusern – als Ergänzung der charakteristischen Bestandesbauten – am stärksten verdichtet wird. Die Sichtbarkeit der Hochhäuser bindet das Quartier stärker an den Siedlungskörper der Gemeinde an und mit den weniger hoch bebauten Randzonen wird ein moderater Übergang zur bebauten Umgebung geschaffen. Im wahrsten Sinne des Wortes eine exemplarische «Verdichtung nach Innen».

«Wir haben uns bei unserem städtebaulichen Richtprojekt sehr stark durch die Bestandes­bauten inspirieren lassen.
Das macht das Projekt so unique.»

Roger Boltshauser


Auch auf städtebauliche Querbezüge wurde grosses Gewicht gelegt, um räumliche Beziehungen herzustellen und Räume zu öffnen. Der Zugang zum Fluss, der neue Lorzensteg sowie eine neue Brücke über die Lorze schaffen neue Verbindungen und aussenräumliche Qualitäten.

Der Bebauungsplan verfügt aber nicht nur über ein städtebauliches Grundkonzept, sondern auch über einen wegleitenden Umgebungsplan für das ganze Areal. Dieser sieht vor, dass sich der vom Teuflibach geprägte Landschaftsraum von Norden her parkartig in das Areal hineinzieht, wo er sich graduell bis zum grossen Papieri-Platz im Süden des Areals in einen immer städtischeren, öffentlichen Raum wandelt. Dabei wird viel Wert auf eine hohe, grüne Dichte, eine Vielfalt an einheimischen Pflanzen und verschiedene verkehrsfreie Räume mit hoher Aufenthaltsqualität gelegt. Damit entsteht ein aufeinander abgestimmtes und sich ergänzendes Neben­einander von Umbauten und freiem Raum mit einer zusammenhängenden, gestalterischen Handschrift.

«Je dichter die Bebauung ist, desto grösser ist die Bedeutung der Gestaltung des Aussenraums. Er ist Aufenthalts- und Begegnungsort, bietet Erholung, Wohlbefinden, schafft Identität und lädt zum Bleiben ein. Hochwertiger Aussenraum schafft einen ökologischen Mehrwert, weshalb wir der Gestaltung der Räume zwischen den Gebäuden sehr grosse Beachtung schenken.»

Andreas Friederich

«Für uns war es extrem wichtig, die Identität des ehemaligen Fabrikareals zu wahren und seine Geschichte weiterzuführen», führt Roger Boltshauser weiter aus. «Man merkt immer wieder, dass die Bevölkerung von Cham mit dem Papieri-
Areal stark verwurzelt ist», fügt Andreas Friederich hinzu. «Viele Chamerinnen und Chamer haben selbst oder durch ihren Verwandten- oder Bekanntenkreis einen persönlichen Bezug zu diesem geschichts­trächtigen Ort. Diese Geschichten sollen weiter­gesponnen werden.»

Aus der Vogelperspektive verdichtet sich die städtebauliche Figur Richtung Arealzentrum; gegen Norden öffnet sie sich fächerartig und webt sich ins Grün der Umgebung ein. Damit verzahnt sich das Quartier mit dem Siedlungskontext im Süden und dem Landschaftsraum im Norden.

«Die Bestandesbauten haben geholfen, das neue Quartier mit der Umgebung zu verweben und die Basis für eine verdichtete Mitte mit neuen Hochhäusern zu schaffen.»

Roger Boltshauser


Deshalb ist auch bei der Integration von Neubauten ins Arealgefüge ein besonderes Augenmerk auf die Bestandesbauten zu richten. «Die industrielle Prägung des Areals ist massgebend für die Entwicklung der architektonischen Sprache aller Neubauten. Man kommt nicht darum herum, sich damit zu befassen und mit dem Bestand in einen Dialog zu treten», erklärt Roger Boltshauser. «Als Grund­eigentümerin und prägende Bauherrschaft der verschiedenen Bauvorhaben auf dem Papieri-Areal ist es der Cham Group AG sehr wichtig, dass die massgeblichen Qualitäten des städtebaulichen und freiräumlichen Richtprojekts auch in der Gestaltung der durch verschiedene Architekten entworfenen Neu- und Umbauten und in der Umgebung ablesbar bleiben und sich so zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügen», meint Andreas Friederich weiter.

 

Aber auch der übergeordnete Nachhaltigkeitsgedanke prägt die künftige Lebensqualität des neuen Quartiers entscheidend. Das komplett CO2-freie Energiesystem und Bauten mit Holz-Beton-Verbundkonstruktionen unterstützen dabei die Reduktion des CO2-Ausstosses. «Wir sind überzeugt, dass sogenanntes Gebäuderecycling – die Um­nutzung bestehender Gebäude, statt deren Abriss und die Erstellung eines Neubaus – zunehmend an Bedeutung gewinnen wird», meint Roger Boltshauser. Er ist mit seinem Büro auch für den Umbau der alten Papiermaschinenhallen 1-4 in attraktive Loft-Wohnungen und Ateliers verantwortlich.

Es ist ein langer Prozess und vorerst einmal fiebern die beiden dem Abschluss der ersten Bauetappe und dem Bezug der umgenutzten und neuen Gebäude entgegen. «Wir versuchen, ideale Rahmenbedingungen zu schaffen mit hochwertig gestalteten und nachhaltig gebauten Gebäuden und Aussenräumen, damit sich neues Leben in der Papieri entfalten kann.

Doch letztendlich prägen und beleben Menschen diesen Ort. Menschen, die sich hier auf­halten, hierher zurückkehren, hier etwas kreieren, verkaufen, hier wohnen, Kaffee trinken, essen, arbeiten, sich wohl fühlen und das Quartier bereichern», entwirft Andreas Friederich sein zukünftiges Bild des Papieri-Areals. «Wir möchten Cham mit dieser Arealentwicklung auch etwas zurückgeben. Wir sind uns der Bedeutung dieses geschichtsträchtigen Ortes bewusst und setzen alles daran, verantwortungsvoll mit diesem Vermächtnis umzu­gehen. Weitergeschrieben wird es aber von den Menschen, die einst hier leben und sich hier treffen. Wenn dies gelingt, haben wir vieles richtig gemacht.»

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