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Rita Illien, Landschaftsarchitektin

Rita Illien, Landschaftsarchitektin.

Freiräume verbinden: Die Papieri ergrünt

Die Gebäude der ersten Bauetappe werden Schritt für Schritt von den Gerüsten befreit und eröffnen den Blick auf die entstehenden Freiräume im neuen Quartier. Eine Heerschar von Gärtnern setzt erste Pflanzen in Grünflächen, auf Plätzen und entlang Strassen. Ihre Arbeit folgt der Handschrift von Rita Illien. Als Landschaftsarchitektin ist sie mit ihrem Büro Müller Illien Landschaftsarchitekten für die Freiraumgestaltung im Quartier zuständig.

Denn hochwertige Architektur allein ist noch kein Garant für Lebensqualität. Ein durchgängiges Freiraumgestaltungskonzept mit attraktiven Plätzen, begrünten Strassen und Gassen sowie grosszügigen Grünflächen ist verbindender Rahmen für die Gebäude und nötiger Freiraum für die Anwohner zugleich.

Vor sechs Jahren wurde der Bebauungsplan des Papieri-Areals von der Chamer Bevölkerung gutgeheissen. Der darin enthaltene Umgebungsplan diente als Wegweiser. Zwar waren darauf auch Bäume und grüne Flecken eingezeichnet, doch die ganzheitliche Aussenraumgestaltung für das neue Quartier musste erst noch im Detail entwickelt werden. In einem Planerwahlverfahren wurden namhafte Büros beauftragt, Ideen für die Gestaltung und Renaturierung des Lorzenraums auszuarbeiten. Der Vorschlag von Rita Illien überzeugte und sie erhielt den Zuschlag für die Gesamtplanung der Freiräume auf dem Areal. Zusammen mit ihrem Geschäftspartner Klaus Müller ist sie Inhaberin des Büros Müller Illien Landschaftsarchitekten in Zürich. Seit rund fünf Jahren arbeitet sie nun an der Planung und der konzeptionell ganzheitlichen Umsetzung der Aussenräume im Papieri-Areal.

Spannende Ausgangslage in vielseitigem Areal

Die Grösse und Vielfalt des Areals, der Spagat zwischen alt und neu sowie ländlich und urban begeisterte Rita Illien von Beginn an. Mit langjährig geschultem Kennerauge sah sie ganz unterschiedliche Potenziale im Bestand: Der Lorzenkanal eignete sich perfekt für ein einmaliges Naherholungsgebiet zwischen Siedlungsraum und Kulturland. 180 Grad anders gestaltet sich die Situation auf dem Papieri-Platz inmitten des alten Industrieareals: Ein grosszügiger Platz kann mit urbanem Leben gefüllt werden, aber die Tiefgarage unter dem Platz erschwert das Pflanzen von Bäumen. Um das Patchwork aus urbanen und ländlichen Elementen und den unterschiedlichsten Gebäuden, Gassen und Plätzen zu einem hochwertigen Ganzen zu verweben, brauchte es eine Gesamtidee. Diese Herausforderung nahm Rita Illien gerne an.

«Die Grösse und Vielfalt des Papieri-Areals, der Spagat zwischen alt und neu sowie ländlich und urban begeisterte mich von Beginn an.»

Rita Illien

Der Umgebungsplan gab vor, dass sich der vom Teuflibach geprägte Landschaftsraum von Norden her parkartig in das Areal hineinzieht und sich bis zum grossen Papieri-Platz im Süden des Areals in einen immer städtischeren Raum wandelt. Um die Freiraumgestaltung der unterschiedlichen Bereiche nahtlos ineinanderfliessen zu lassen, wurden die Freiräume der ersten Bauetappen in Teilbereiche gegliedert. In regelmässigen Abständen erfolgten die Baueingaben, wobei jedes Teilprojekt einerseits für sich stehen, andererseits aber auch die anderen Nutzungsangebote ergänzen und gleichzeitig dem Gesamtkonzept aus dem Bebauungsplan entsprechen musste. Abweichungen vom Gesamtkonzept waren nur möglich, wenn sie im Vergleich zum Richtprojekts eine Verbesserung boten.

Ausschnitt aus dem Bebauungsplan mit Freiraumgestaltung.

Von der Geschichte inspirierte Gesamtidee

Der Papieri-Platz, das Herzstück des neuen Quartiers, war gestalterisch eine besondere Herausforderung. Seine Lage zwischen Hoch- und Kesselhaus war durch den Bebauungsplan vorgegeben, ebenso seine städtischen Dimensionen. Aber Cham ist nicht Zürich, die Gestaltung sollte also nicht zu urban wirken. Rita Illien liess sich von der Geschichte inspirieren und adaptierte das typische Patchwork von Industriearealen zum Gestaltungsmuster für den Papieri-Platz: Mit verschiedenen Asphalt-, Kies- und Pflastersteinflächen schuf sie ein spannendes Muster aus kleineren Feldern und brach damit den grossen Masstab. 

«In einem Industriegebiet wäre die Platzfläche wohl komplett asphaltiert,» meint Illien, «doch für eine Wohnumgebung ist eine differenziertere, menschlichere Gestaltung nötig. Grosse Töpfe ermöglichen die Pflanzung von kleineren Gehölzen, zahlreiche Sitzmöglichkeiten und ein Wasserspiel bieten neben dem grossen Flieger-Spielplatz Aufenthaltsorte für Gross und Klein.» Mit dieser Lösung für den Platz war auch die alles verbindende Gesamtidee gefunden: Das Muster unterschiedlicher Bodenbeläge, das die industriellen Dimensionen bricht, wurde in Varianten zum Thema für alle Freiräume des Areals.

«In einem Industriegebiet wäre die Platzfläche wohl komplett asphaltiert. Doch für eine Wohnumgebung ist eine differenziertere, menschlichere Gestaltung nötig.»

 

Renaturierung Lorzenraum

Die ersten Baurbeiten erfolgten allerdings im Lorzenraum. Im Rahmen der Gesamtplanung führten Illien und ihr Team zuerst einen Wettbewerb zur Realisierung der Lorzenbrücke durch. Diese Brücke musste als erstes erstellt werden, damit von dort aus die Baustelleninstallationen im Arealinnern bedient werden konnten. Im nördlichen Lorzenraum wurde die alte Abwasserreinigungsanlage zurückgebaut. Malerisch schlängelt sich an ihrer Stelle neu ein zweiter Flussarm durch das Gelände. Gerade werden die letzten Jungbäume gepflanzt. «Vor drei Wochen taten sich hier die Biber noch an den frisch gesetzten Jungpflanzen gütlich. Jetzt haben sie sich glücklicherweise ausgetobt. Wir können schliesslich nicht alle Pflanzen einhagen und vor den Tieren schützen», erzählt Illien.

 

Renaturierung des Lorzenraums bei der ehemaligen Papiermaschinenhalle PM5.
Bis ins Detail engagiert: Rita Illien begutachtet die Arbeit der Gärtner.

Die Landschaftsarchitektin schaut den Gärtnern bei ihrer Arbeit über die Schulter, prüft hier einen Strauch, begutachtet dort eine Staude, überprüft deren Anordung. Zwar darf die Böschung sich in diesem Naturraum künftig frei entwickeln, doch eine korrekte Initialpflanzung ist für das gute Wachstum und ein ansprechendes Bild dennoch wichtig. «Dieser Raum wird der Natur überlassen, hierhin kommen nicht viele Menschen, das ist das Tolle», schwärmt Rita Illien.

«Aus der gegenüberliegenden alten Papiermaschinenhalle PM5 wird man dereinst einen traumhaften Ausblick haben.»

Rita Illien

Einige Sträucher scheinen beim Transport kaputt gegangen zu sein, andere ragen trocken aus der Erde, werden sich aber erholen. Das sei normal bei Wildgehölzen. Die Sträucher stammen alle aus einer Schweizer Baumschule. Rita Illien schöpfte bei der Wahl der Pflanzen aus ihrem enormen Fachwissen. Sie legte Wert darauf, dass die Pflanzenarten in einen Flussraum wie diesen passen und wählte einheimische Wildpflanzen, vor allem Bachgehölze der Aue: Weiden, Haselsträucher, Pappeln und höher am Hang auch ein paar Nussbäume, Eichen oder wilde Kirschbäume, die im Frühling ihre Blütenpracht in der Kulturlandschaft entfalten.

Wo früher eine Abwasseranlage stand, schlängelt sich heute ein zweiter Flussarm.

«Dieser Kanal ist Kulturgut. Die Integration der knorrigen, grossen Wurzelstöcke war eine Auflage des Amts für Natur und Umwelt,» erzählt Illien. «Doch da hinten werden die Pflanzen die Steine des Kanals noch mehr zum Verschwinden bringen.» Für die Landschaftsarchitektin stellte sich im Planungsprozess immer wieder die Frage, was aus dem Bestand erhalten bleiben soll und was es neu zu gestalten gilt. Rita Illien veranschaulicht uns diese Gratwanderung von der Lorzenbrücke aus am Beispiel der Brombeeren, die am Uferrand gerade in zartem lila neben einem weissen Holunderbusch blühen. «Brombeeren können unglaublich wuchern, aber in der Blüte sind sie wunderschön.»

«Dieser Kanal ist Kulturgut. Die Integration der knorrigen, grossen Wurzelstöcke war eine Auflage des Amts für Natur und Umwelt.»

Über den Trafoplatz laufen wir an einer noch eingerüsteten, grossen Stützmauer vorbei. Anfänglich war hier ein weiterer Treppenaufgang geplant. Doch dieser wich einer neuen, besseren Idee: Die imposante Mauer wird komplett mit Kletterpflanzen berankt und zu einem auffälligen Grünelement zwischen Lorzenbrücke und Maschinengasse werden. Eine grosse Baumgruppe in der Mitte des Trafoplatzes wird dafür sorgen, dass auch er nicht mehr als leere Asphaltfläche, sondern als attraktiver Platz wahrgenommen wird.

Die eindrücklichen Dimensionen der Maschinengasse werden durch die Entfernung der Baugerüste langsam sichtbar. Die Gestaltung verwandelt die reine Erschliessungsfläche in einen wertvollen Lebens- und Begegnungsraum mit Gassencharakter. Nötige Funktionen wie die Feuerwehrzufahrt sind darin selbstverständlich eingebunden. Die Lindenbäume, die in der Gasse in versetzten Baumfeldern stehen werden, könnten in 5 bis 10 Jahren schon bis ins dritte Stockwerk reichen. Unter den Bäumen werden Haine mit kleineren Ziergehölzen, ein Pingpong-Tisch, Holzpferdchen für die Kleinen, ein Trampolin und Veloständer integriert. Und auch hier wird das Prinzip des feldartigen Belagskonzepts sichtbar, dass die grossflächige Gasse in Zonen menschlichen Massstabs unterteilt.

Treppe mit Erholungswert

Von der Maschinengasse führt eine über 30 Meter breite, einladende Treppe hinauf zum Papieri-Platz. Im Bebauungsplan ist dieser Bereich für die Überwindung des Höhenversatzes von der Ebene der Lorze zur Platzebene vorgesehen. Doch Rita Illien hat die Treppe zu weit mehr als einem zweckmässigen Mittel der Höhenüberwindung gemacht: Sie hat auch hier einen Aufenthaltsort geschaffen. In Richtung Kalanderbau geht die Treppe in eine grüne Böschung über. Sitzmöglichkeiten verbinden das Treppenbauwerk mit der Grünfläche und eine Riesenrutschbahn für die Kleinen blitzt als glitzernde Röhre zwischen den frisch gesetzten Pflanzen. Hier wählte die Landschaftsarchitektin Bäume mit starken Farbeffekten: Zierkirschen mit ihrer rosa Blüte im Frühjahr und Feldahorne mit leuchtend gelbem Herbstlaub sorgen nicht nur für Farbe, sondern spenden im Sommer auch Schatten.

Die grosse Treppe zum Papieri-Platz ist auch als Aufenthaltsort konzipiert. Die Pflanzen können sich nun entwickeln.

Die Aussenräume der zweiten Etappe bieten viel Grün

Ursprünglich sah der Bebauungsplan auf dem Siloplatz der zweiten Bauetappe eine asphaltierte Fläche mit wenigen Bäumen vor. Doch seither haben sich der Zeitgeist und das Klima verändert. Illien und ihr Team suchten daher nach Lösungen mit mehr Pflanzen und weniger Hartbelag, zumal im angrenzenden Hochhaus I künftig eine Kita im Erdgeschoss ihre Türen öffnet. Illien schuf für sie einen kindergerechten Aussenbereich mit einer geschwungenen Heckeneingrenzung und Nischen für die Kinder, um sich darin zu verstecken. Gleich nebenan liegt eine Wiese wie eine Lichtung in einem kleinen Baumhain. Sie bietet allen Kindern und Anwohnenden Platz für Spiel und Bewegung. Zwischen den Hochhäusern I und H entsteht auf dem Siloplatz eine befestigte Fläche, in deren Zentrum Zitterpappeln und Birken in einem Kieskreis stehen. «Offene Flächen werden wir in der Papieri genügend haben, Schatten wird im Sommer gesucht sein. Ich kann mir gut vorstellen, dass hier auch mal ein Grill steht und Menschen unter den Bäumen Boule spielen werden,» sinniert die Landschaftsarchitektin.

Bis alle Pflanzen richtig angewachsen sind und die gewünschte pflanzliche Dichte erreicht ist, dauert es fünf bis zehn Jahre. Rita Illien erklärt: «Mit dem Wachstum der Bäume wird das Areal zusammenwachsen: Die grossen Baumkronen werden die grossen Bauvolumen miteinander verbinden und alles zusammenhalten. Jeder Baum, der hier wachsen kann, trägt zur Aufwertung des neuen Quartiers bei. Wenn es schlussendlich so wirkt, als würden die gebauten Objekte aus den Baumkronen herauswachsen, werden Distanzen und Masstäbe definitiv gebrochen und wir fühlen uns wohl und geborgen im neuen Quartier. Darauf freue ich mich am meisten».

«Wenn es schlussendlich so wirkt, als würden die gebauten Objekte aus den Baumkronen herauswachsen, werden Distanzen und Masstäbe definitiv gebrochen und wir fühlen uns wohl und geborgen im neuen Quartier.»

Rita Illien

 

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